Gemeinsam zu schreiben ist superschön und superanstrengend zugleich. Außerdem kann praktisch jeder schreiben, und trotzdem will es häufig nicht gelingen. Diese Widersprüche gilt es auszuhalten – beim literarischen Schreiben wie bei der Technikredaktion in einem agilen Umfeld. Da hilft nur eines: Weiterschreiben! Dies und mehr in diesem Beitrag
Gemeinsam tippen im Takt
Beginnen wir mit einer kurzen Rolle rückwärts in meine Teenie-Zeit. In den 90er Jahren war gemeinsames Schreiben praktisch nur auf Papier denkbar. Die ersten Gehversuche mit einer Tastatur machte ich noch in einem Maschinenschreibkurs. Dort schrieben wir auch gemeinsam, aber irgendwie anders als man zunächst denkt – nämlich im Takt und alle denselben Text.
Dieses komplett analoge Erlebnis habe ich vor kurzem im großartigen Techniktagebuch dokumentiert, als Multi-Autorenblog auch ein gelungenes Beispiel für kollaboratives Schreiben. Hier geht’s zu meinem Beitrag: Techniktagebuch: Tippen im Takt (19. März 1998)
Selbsthilfegruppe für agile Autoren
Auch die Schreibenden im Unternehmenseinsatz haben’s nicht leicht. Deshalb entstand ganz spontan eine Art Selbsthilfegruppe für Technische Redakteurinnen und Redakteure, die agile Software-Entwicklungsprozesse begleiten. Der Rahmen für das erste Treffen war das diesjährige tekom-Openlab, einer Mini-Unkonferenz für Technische Kommunikation im schönen Koblenz.
Eine Erkenntnis: Scrum & Co. lässt Menschen im Regen stehen, die den agilen Entwicklungsprozess schreibend begleiten, was der (Software-)Entwicklung naturgemäß nachgelagert geschehen muss. Außer einigen Floskeln bietet die agile Methodik nur wenig konkrete Hilfestellungen oder gar Verständnis für die Notwendigkeit und den Mehrwert von Dokumentation Nutzerinformation. Das erzeugt in der Praxis oft Frust – ein Thema, dem wir uns in Zukunft an dieser Stelle vielleicht näher widmen sollten.
Jeder kann schreiben?
Dass in agilen oder nicht agilen Umfeldern jeder (oder zumindest fast jeder) brauchbare Texte verfassen kann, habe ich einmal öffentlich kundgetan, und davon bin ich bis heute überzeugt.
Neben den richtigen Werkzeugen kommt es dabei auf die richtige Kultur an. Oder auf die eigene innere Haltung, wie Daniela Rorig in ihrer unterhaltsamen Typologie der Gelegenheitsschreiber erklärt: Woran man sauschlechte Texter erkennt (inklusive einer tollen Infografik).
Geschichten gemeinsam (weiter)schreiben
Erfahrungen mit der Co-Kreation, also dem gemeinsamen Schreiben von Geschichten und anderen Texten, konnten bereits zahllose Menschen da draußen sammeln. Auf der Plattform skrib.io teilen sie unter dem Stichwort Co-Kreation in konsekutiv geführten Interviews ihre Erfahrungen und Einsichten:
- Irina Christmann empfiehlt Google Docs als Werkzeug und schrieb darin absatzweise abwechselnd oder auch simultan – für sie eine extrem witzige, aber auch anstrengende Erfahrung. Doch damit das Schreibprojekt mit mehreren Autoren tatsächlich gelingt, sind Teamplayer gefragt und es hilft aus ihrer Sicht nur eines: miteinander reden!
- Peter Hellinger sieht das deutlich skeptischer und verweist auf eigene gescheiterte Projekte, faule Kompromisse und (beinahe) zerbrochene Freundschaften. Kurz: Teamwork ist bei vielen Autoren aus gutem Grund nicht beliebt.
- Kathrin Passig berichtet u. a. von einem Phänomen, dass bei der Co-Kreation der individuelle Schreibstil in einen gemeinsamen Stil übergeht. Kurioserweise wird es damit für Leser und Autoren gleichermaßen praktisch unmöglich, im Nachhinein noch festzustellen, wer welche Stelle geschrieben hat.
Die Liste der Erfahrungsberichte über das gemeinsame Schreiben könnte jetzt auf skrib.io endlos weitergehen, und genau das ist auch das Ziel und der Anspruch dieser Plattform, die sich als Online-Spielplatz zum Schreiben von Fortsetzungsgeschichten versteht. Es bleibt also spannend …
Bildnachweis: tekom.de, Stephanie Kowalski/Online PR Guide
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