Eines schönen Frühlingstags zuckelte eine Straßenbahn an mir vorbei. Darauf stand “Einsteigen und durchstarten”, der Slogan zur aktuellen Kampagne der Hochschule Karlsruhe. Warum dieser Spruch völlig neben der Spur ist, und was das alles mit schiefen Bildern zu tun hat
Der Volksmund sagt bekanntlich: “Ein Bild sagt mehr als tausend Worte”. Doch auch für den untalentiertesten Maler besteht noch Hoffnung. Denn auch mit Sprache lassen sich spannende und sofort einleuchtende Bilder erschaffen, sogenannte Metaphern.
Nun ist es bei den Sprachkünstlern aber leider genauso wie bei den Malern. Bloß einen Pinsel halten zu können, genügt einfach nicht. Als Sprachmaler reicht es bei weitem nicht aus, nur Muttersprachler zu sein. Und das Gefühl für Sprache und das Bedürfnis, Worte kritisch zu hinterfragen, ist offenbar für viele ein blinder Fleck. Aus diesem Unvermögen heraus wächst und gedeiht häufig etwas, was Oma etwas blumig “Stilblüten” nannte – also schiefe sprachliche Bilder. Nein, das ist nicht schlimm, das passiert jedem von uns!
Schlimm hingegen wird’s, wenn professionelle Texter – also Leute, die es eigentlich besser wissen müssten – massenhaft schiefe sprachliche Bilder in Umlauf bringen. Bildhafte Sprache, so werden solche Ergüsse auch häufig genannt, ist für viele Texter extrem praktisch. Denn so können sie sich hinter Floskeln verstecken und müssen sich nicht tiefer mit dem eigentlichen Inhalt befassen. Deshalb werden dieselben “bildhaften” Phrasen immer wieder gedroschen – seien die Bilder auch noch so schief und staubig.
Vom “Durchstarten” zum Studienabbruch
Stellvertretend für all diese schiefen, nie hinterfragten sprachlichen Bilder möchte ich heute das “Durchstarten” unter die Lupe nehmen. Man liest es ständig irgendwo. Neulich bin ich wieder darüber gestolpert: bei einer Image-Kampagne der Hochschule Karlsruhe. Meine ehemalige Fachhochschule wirbt auf Karlsruher Straßenbahnen mit dem Slogan “Einsteigen und durchstarten”. Das ist doppeldeutig, wegen des Studiums einerseits und der Straßenbahn andererseits – wissterschon! Kicher-LOL-ROFL!
Deshalb zum Mitschreiben für alle, die immer so gerne vom “Durchstarten” fabulieren: Es handelt sich hier um einen Ausdruck aus der Luftfahrt. Er beschreibt leider überhaupt nichts tolles, sondern eine abgebrochene Landung – also eine Beinahe-Katastrophe!
Und das, meine Damen und Herren, bedeutet “Durchstarten” im übertragenen Sinn: sich mit aller Kraft und mit vollem Risiko das Scheitern einzugestehen, gerade noch einmal mit Mühe und Not die Kurve zu kratzen und davonzuflattern. Ist es das, was man als Texter kommunizieren möchte? Wohl eher nicht.
Auch die Hochschule Karlsruhe ließ sich diese windige Metapher andrehen. Oder soll der Slogan “Einsteigen und durchstarten” etwa die Studieninteressenten animieren, sich zwar in Karlsruhe zu immatrikulieren, aber dann zügig das Studium wieder abzubrechen? Auch eher nicht.
Eine Alternative zum Durchstarten wäre, dieses alberne und irreführende “durch” ganz einfach zu streichen. Bloß klingt “einsteigen und starten” jetzt gar nicht mehr so gewitzt. Und ganz genau das ist es auch: ziemlich lahm – ob mit oder ohne “durch”. Also, zurück an den Schreibtisch!
“Gas geben” – der trampelige Bruder von “Durchstarten”
Von der “Durchstarten”-Phrase ist es nicht mehr weit bis zu einem weiteren hohlen Spruch: dem “Gas geben”.
Für uns Deutsche sind Phrasen, die mit dem Begriff “Gas” spielen, aus historischen Gründen eher ungünstig – insbesondere wenn es inhaltlich gerade um Politik geht. Trotzdem schrecken arglose Menschen nicht davor zurück, völlig gedankenlos in Texten “Gas zu geben”.
Umso schlimmer, dass die rechtsextremen Sprallos von der NPD mit diesem Slogan für die 2011er Wahl des Berliner Abgeordnetenhauses warben. Eine glatte Unverschämtheit!
Gekonnt reagiert hat eigentlich nur die PARTEI, der politische Arm des Satiremagazins Titanic. Dabei wurde die Provokation der NPD kurzerhand auf einen ihrer Brüder im Geiste umgemünzt: auf Jörg Haider, einen österreichischen Rechtspopulisten, der sich bekanntlich hackedicht zu Tode gefahren hat.
Für die Phrase “Gas geben” sowie verwandte Gas-Wortspiele und Floskeln (wie etwa das noch viel entsetzlichere “bis zur Vergasung”) bedeutet das für uns Schreiberlinge: Lassen wir besser die Finger davon – es sei denn, wir würden (wie die NPD) gesteigerten Wert darauf legen, zu provozieren und wir wollten in Kauf nehmen, dass sich Hohn und Spott über uns ergießt.
Fazit: Augen auf bei der Wahl des sprachlichen Bilds!
Wortspiele sind großartig, auch ich bin ein Riesenfan! Aber bitte denkt beim Verwenden von Metaphern nicht nur in die gewünschte Richtung, sondern macht euch wirklich Gedanken über den Kontext jedes einzelnen eurer sprachlichen Bilder. Prüft im Himmels Willen die Nebenbedeutungen eurer Worte. Denn sonst wird das einzige, was eure Texte bewirken, höchstens ein Eintrag sein in jenem Facebook-Phrasenpranger, der treffenderweise “Da kotzt das Texterherz” heißt.
P.S.: Habt ihr’s bemerkt? Dieser Text ist voller halb- bis vollschräger Metaphern, rund 15 an der Zahl. Darunter ging es heute leider nicht, sollte es aber! Denn mein Tipp für euch: Wählt beim Texten eine (!) passende (!) Metapher für die zentrale Aussage und verwendet diese dezent, aber konsequent. Und die Leserinnen und Leser werden eure Freunde sein. Und ich muss mich weniger schütteln. Danke